Galiziens Ölboom: Aufstieg & Fall der Ölindustrie in der Donaumonarchie

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Der Ölboom in Galizien des 19. Jahrhunderts war eine faszinierende, aber in meinen Augen auch tragische Episode der europäischen Wirtschaftsgeschichte. Denn bei aller Begeisterung für Erfindergeist und unternehmerische Pionierleistungen, finden wir auch hier das bekannte Muster wieder: Einige wenige Magnaten stiegen zu sagenhaftem Reichtum auf, während zigtausende unter unmenschlichen Bedingungen in den Minenschächten und auf den Ölfeldern von Borysław und Drohobycz schufteten.

Aber fangen wir von vorn an …

Der Beginn einer Ära

Die Ölvorkommen in Galizien wurden bereits lange vor der industriellen Förderung genutzt. Die lokalen Einwohner schätzten das „Erdpech“ oder „Erdwachs“ (beides sind frühe Begriffe für Roh-Öl) aus natürlichen Quellen als vielseitiges Hausmittel: Mit dem klebrigen Zeug schmierten sie ihre Wagenräder, dichteten Boote ab, beleuchteten ihre Häuser, bekämpften damit Schädlinge auf den Feldern und nutzten es sogar für Salben und als Heilmittel.

Mädchen in südmährischer Tracht, Donaumonarchie im 19. Jahrhundert, bild: public domain
Mädchen in südmährischer Tracht, Donaumonarchie im 19. Jahrhundert, bild: public domain 

Erst mit der steigenden Nachfrage nach Beleuchtungsmitteln rückte das galizische Erdöl auf einmal ins Zentrum des Interesses. Ein polnischer Apotheker und zwei seiner Lehrlinge (einer von ihnen war Ignacy Łukasiewicz) entwickelten Mitte des 19. Jahrhunderts eine Methode zur Reinigung des Rohöls – ein Meilenstein für die europäische Ölindustrie. Łukasiewicz verfeinerte das Verfahren dann später weiter und gilt seitdem als »Vater der Petroleumlampe« – in meinem historischen Roman „Der Goldvogel“ spielt er eine kleine, aber feine Rolle.

Ignacy Łukasiewicz, Donaumonarchie im 19. Jahrhundert, bild: poln. nacherzaehlungsmuseum
Ignacy Lukasiewicz, bild: poln. nacherzaehlungsmuseum

Die Ölindustrie der Donaumonarchie im Aufschwung

Die ersten Bohrlöcher wurden noch von Hand gegraben, doch bald brachten ausländische Investoren moderne Bohrtechniken nach Galizien. Unternehmer wie der Kanadier William MacGarvey verbesserten die Förderung, was zu einem wahren Ölboom führte. was zu einem wahren Ölboom führte. 

Es ist kaum bekannt, aber historisch belegt: Österreich-Ungarn war kurz nach der Jahrhundertwende tatsächlich für wenige Jahre eine Ölmacht von Weltrang. Die damals zur Donaumonarchie gehörende Region Galizien förderte 1909 über zwei Mio. Tonnen Rohöl und war damit nach den USA und Russland der drittgrößte Erdölproduzent der Welt. Dieser rasante Aufstieg machte Galizien zu einem Zentrum der globalen Wirtschaft

Lep-Träger und andere Minenarbeiter auf den Ölfeldern in Galizien um 1900, bild: public domain
Lep-Träger und andere Minenarbeiter auf den Ölfeldern in Galizien um 1900

Doch dieser Aufschwung hatte seinen Preis. Die Arbeitsbedingungen in den Förderschächten und auf den Ölfeldern waren lebensgefährlich. Giftige Dämpfe, Explosionen, gigantische Feuer und mangelnde Sicherheitsvorkehrungen forderten zahllose Opfer. Die jüdischen oder ruthenischen Arbeiter wurde zunehmend immer schlechter behandelt. Und die Mechanisierung der Förderung drängte kleinere Betriebe aus dem Markt, während sich der Reichtum in den Händen weniger Großunternehmen konzentrierte.

Drohobycz, Historische Ölförderung in Galizien, 19. Jahrhundert, bild: public domain 
Drohobycz profitierte vom Ölboom nur wenige Jahre, bild: public domain 

Hier in kurzes Zitat aus meinem Roman, um einen Eindruck von der Atmosphäre „vor Ort“ zu gewinnen:

Das Erste, was Zelda auffiel, als sie sich Boryslaw näherten, war der Gestank. Er hing wie eine schwere Glocke über dem Boryslawer Tal und stach ihr in die Nase, noch bevor sie die ersten Ölgruben entdeckte, die, von Geröllhalden umgeben, über das Tal verstreut lagen und die Landschaft wie ein Küchensieb durchlöcherten. Es war der beißende Geruch nach Erdöl und Petroleum, so stark, dass sie ihr Kopftuch heruntergezogen und als Mundschutz verwendet hätte, wenn sie eine Hand freigehabt hätte.

Angela Marina Reinhardt: Der Goldvogel, 2025

Ölfelder in Boryslaw,  Historische Ölförderung in Galizien, 19. Jahrhundert, bild: public domain 
Ölfelder in Boryslaw, Historische Ölförderung in Galizien, 19. Jahrhundert, bild: public domain 

Das Ende des Ölbooms

Von 1910 an erschöpften sich die Ölvorkommen in Galizien nach und nach. Zeitgleich erschloss man neue Fördergebiete in anderen Teilen der Welt – z. B. in Pennsylvania in den USA, wohin in »Der Goldvogel« auch mein junger Ölingenieur und Gelegenheitsboxer Jon Brodski auswandern will.  

Die "Oil City" in Tustanowice, Galizien um 1900, bild: public domain
Die „Oil City“ in Tustanowice, Galizien um 1900, bild: public domain

So verloren die Ölfelder Galiziens rasch an Bedeutung und spätestens mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs und der Zeitenwende nach 1918 verblasste die Ölindustrie der Donaumonarchie zu einem Nebenschauplatz der Geschichte.

Der Ölboom Galiziens im Netz – und in meinem neuen Roman

Heute erinnert selbst im Netz nur noch wenig an die Zeit, als Galizien das „Kalifornien Europas“ war. Doch alte Fotografien und Karten , wissenschaftliche Sammlungen und sorgfältig zusammengestellte Berichte zeigen eine Welt, die von Pioniergeist, harter Arbeit und tiefen sozialen Gegensätzen geprägt war.

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Auch mein neuer Roman lädt ein, in diese Epoche einzutauchen – und die Menschen hinter den Ölpumpen kennen zu lernen.

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