Historische Mode im 19. Jahrhundert: Die Silhouetten der Meran-Saga – TEIL II: 1860 bis Jahrhundertwende

Mode im 19. Jahrhundert - Frauen 2

Bei der Recherche für meine Meran-Saga, deren Auftaktroman »Die Welt in Meran – Walzerblut« im Jahr 1872 spielt, habe ich mich ausgiebig mit der Mode des 19. Jahrhunderts beschäftigt und für euch einen groben Überblick zusammengestellt.

Da Teil I (1800–1859) umfangreicher wurde als gedcht, folgen hier die Dekaden zwischen 1860 und der Jahrhundertwende in einem zweiten Blogbeitrag.

Vorerst beschränke ich mich auf die Kleidung der Frauen. Die Mode der Männer folgt beizeiten.


Die 1860er: Krinolinen und der amerikanische Bürgerkrieg

Wenn ich an die Mode der 1860er Jahre denke, ist meine erste Assoziation meist: Scarlett O’Hara.
So lautet der Name der Romanheldin des Bestsellers „Von Winde verweht“, der, das muss man schon sagen, ebenso wie seine fast noch berühmtere Verfilmung leider gar nicht gut gealtert ist – zu fragwürdig sind seine Aussagen, zu zahlreich die mal offenen, mal versteckten Rassismen.

In meiner Kindheit habe ich den Film, der zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs spielt, allerdings oft gesehen – meist rund um Weihnachten. Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir die Ballszene, in der die tanzlustige Witwe Scarlett am Rand des Parketts heimlich mittanzt: Ein passendes Bild für die vergleichsweise größere (Bein)-Freiheit, welche die neu erfundene „Krinoline“ aus Drahtbögen und versteiften Bändern den Frauen ermöglichte.


Wiener Mode 1862, bildrechte:public domain

Alles andere mochte gleich bleiben: die einengenden Korsetts, der unpraktische Durchmesser, die permanente Brandgefahr (es gibt zahlreiche Berichte schrecklicher Todesfälle aus der Mitte des 19. Jahrhunderts). Doch das Volumen endlich ohne schwere Unterröcke zu erreichen, es musste einfach eine Erleichterung sein! Ermöglicht wurde dies bei der Krinoline durch ein käfigartiges Gerüst aus flachen Stahlreifen, die durch Bänder verbunden waren und den Rock nach außen stützten.

So modisch allerdings die Krinoline auch war, sie erntete viel Häme und wurde in den zeitgenössischen Zeitungen häufig karikiert.

bildrechte: public domain

Was noch? Ach ja, Stilikone jener Zeit war Kaiserin Eugénie von Frankreich. Und weitere Darstellungen besonders imposanter Reifröcke aus der Krinolinenzeit sieht man immer dann, wenn eine Neuverfilmung von Louisa May Alcotts „Little Women“ ansteht (wie z.B. die hier unten gezeigte von 2019).

Die 1870er: Turnüren und „Kürassmode“

Ab Beginn der 1870er Jahre richtete sich die Aufmerksamkeit der Mode auf die Rückansicht der Silhouette. Die sogenannte „Turnüre“ (engl. „Bustle“) stützte die drapierten Stoffpartien über dem Po. Dazu schnallte frau sich eine Art kleines Kissen zwischen Unterwäsche und Rockteil, während die Schnitte vorne und an den Seiten wieder deutlich enger wurden. Das Ergebnis war ein dramatisches Rückprofil, das unmöglich zu übersehen war.

Kurzzeitig setzte man auch auf Kleider im Stil der „Kürassmode„. Diese bestanden aus einem eng anliegenden Oberteil mit zahlreichen Knöpfen oder Riegeln, das eine fast männlich-militärische Anmutung hatte (daher auch der Name, ein „Kürass“ ist ein Brustpanzer). Dazu kam ein Korsett, das bis über die Hüften hinaus eng anlag und so eine sehr schlanke Silhouette formte.

Kürassmode im 19. Jahrhundert
bildrechte: public domain

Klingt das anstrengend? Ich finde schon! Doch viele Reenactment-Fans und Modebegeisterte schwören, ein solches Kleid könne bequem sein. Auch in meiner Meran-Saga erwähne ich ein derartiges Kleid. Bei mir klingt das dann so (meine Hauptfigur Helen hat in der Szene jedoch andere Probleme als Kleidungsnöte):

Mit einem unterdrückten Seufzer stieg sie aus der Reisekutsche und streckte unauffällig ihre Glieder, die ihr vom langen Sitzen völlig verspannt erschienen. Es lag nicht an ihrem nach der neuen Kürassmode geschnittenen Kleid, dessen Korsett, obwohl es bis über die Hüften reichte, erstaunlich leicht und biegsam war. Doch krampfartige Schmerzen in ihrem Unterleib hatten Helen während der Fahrt in stille Not versetzt. Es wäre nicht das erste Mal, dass ihre Unpässlichkeit sie unangekündigt (…) heimsuchte.“ (Aus „Walzerblut„, erschienen 11/2025)

Die 1880er & 1890er bis zur Jahrhundertwende:

Die folgenden zwei Jahrzehnte brachten noch engere Taillen, betonte Hüften und schmale Vorderpartien. Die Silhouette wurde detaillierter: Puffärmel, Rüschen, je nach Saison unterschiedlich ausgestellte Schultern. Überhaupt: Die Ärmel! Sie wurden kurzzeitig so voluminös, dass man sie leg-of-mutton-Ärmel nannte, das heißt Keulenärmel oder noch wörtlicher übersetzt „Hammelkeule“-Ärmel. 🙂

Kurz sehr en vogue: Ärmel wie Hammelkeulen! (bildrechte: public domain via genealogylady.net)

Die Hüte, zu Beginn noch klein, später immer größer werdend, setzten das Gesicht mit ihren Krempen in Szene und boten Platz für viele neckische Federn oder Schleifen – auf den Bildern der Maler Tissot oder Edgar Degas sieht man junge Frauen oft ein reichlich verrücktes Potpourri auf dem Kopf spazieren führen.

Screenshot

Wir befinden uns nun mitten in jener Zeit, die nicht nur in Frankreich als Belle Époque bezeichnet wird und zur Jahrhundertwende hin in das Fin de Siècle übergeht – eine Phase, in der sich angesichts des rasanten Fortschritts im Lebensgefühl der damaligen Zeit eine gewisse Ermattung zeigt.

Allein zwischen 1880 und 1900 wurden das Automobil, das Grammophon, die portable Kodak-Kamera sowie das Sicherheitsfahrrad erfunden – und die elektrische Straßenbeleuchtung hielt Einzug in die Städte. Die Welt drehte sich immer schneller, alte Gewissheiten schwanden und um neue Chancen musste hart gekämpft werden (wie von den Suffragetten). Da kann einem schon einmal der Elan ausgehen.

Doch wenigstens bewahrt frau Haltung – mit einer neuen Form des Korsetts: dem sogenannten „Sans-Ventre„- oder Löffelkorsett. Durch seine starre und gerade Vorderseite, die bis über den Unterbauch reicht, zwingt es seine Trägerinnen in ein starkes Hohlkreuz – die Folge waren permanente Rückenschmerzen und andere orthopädische Probleme.

Dieses Bild aus dem Ladies‘ Journal um 1900 zeigt ganz gut, worum es bei dem neuen „Sans Ventre“-Korsett ging… bildrechte: public domain

Ironischerweise wurde dieses Korsett ursprünglich von einer französischen Ärztin (!) als Gesundheitskorsett entwickelt, um den weiblichen Unterbauch mitsamt dem Beckenboden besser zu stützen. Denn dieser wurde wiederum durch die früheren Korsettformen belastet, die zugunsten einer schmalen Taille alles nach unten weggepresst hatten, was dort irgendwie im Weg war.

Vor allem Frauen ab dem mittleren Alter und/oder Mehrfachgebärende (1880 gebaren Frauen in Deutschland im Durchschnitt 5,1 Kinder) litten infolgedessen häufig unter Unterleibsleiden, die eigentlich vermeidbar gewesen wären.

Man könnte das Sans-Ventre– oder Löffelkorsett also verbuchen unter „gut gemeint, nicht gut gemacht“.

So, das war die Frauenmode bis zur Jahrhundertwende. Bereits um 1900 experimentierten einige wenige auch mit sog. „Reformkleidung“, die etwas ganz Unerhörtes einforderte: Weg mit dem Korsett! Doch das wäre einmal etwas für einen späteren Artikel. 🙂

Zuerst folgt hier demnächst ein Beitrag zu dem, was meine männlichen Romanfiguren im 19. Jahrhundert trugen – viel Spaß!

Buchtipps zur Modegeschichte der Moderne

Wer sich näher mit dem Thema Bekleidungsgeschichte beschäftigen möchte, dem empfehle ich die folgenden Bücher von Sonja Duska (Modegeschichten) und Lydia Edwards (How to read a dress, How to read a suit). Sie sind allesamt unterhaltsam geschrieben und toll bebildert.

3 Bücher zur Kostümgeschichte
Drei empfehlenswerte Bücher zur Modegeschichte …

Und hier habe ich eine Illustration im Netz gefunden, die ebenfalls einen tollen Überblick gibt:

Illustration Damen-Mode des 19. Jahrhunderts
(bildrechte. public domain)

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